Entscheidungsträger zwischen Innovation und Ethik – Künstliche Intelligenz (KI) im Recruiting 2024

Österreichs Führungskräfte unterstützen KI im Recruiting, doch Datenschutzbedenken und rechtliche Unsicherheiten haben den Fortschritt bisher gebremst. Mit dem EU AI Act, der 2024 stufenweise in Kraft tritt, stehen klare Vorgaben und Rechtssicherheit in Aussicht. Wir beleuchten weltweite KI-Trends und -Regulierungen im Recruiting, behandeln Chancen und Risiken, lernen aus vergangenen Fehlern, zeigen, wie KI im Recruiting heute eingesetzt wird und wie verantwortungsvoller Umgang aussehen kann.

KI in Österreich: Große Zustimmung trifft auf praktische Herausforderungen

Richtet man den Fokus auf die österreichische Wirtschaft, ergibt sich ein interessantes Bild in Bezug auf die Einstellung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Laut der “Deloitte AI Quick Study” vom September 2023 sind die heimischen Führungskräfte dem Potenzial von KI mit 93 % zwar überwiegend aufgeschlossen, jedoch zeigt sich eine gewisse Zurückhaltung bei der flächendeckenden Implementierung dieser Technologien.

Diese Ambivalenz wird besonders deutlich, wenn man betrachtet, dass, obwohl eine große Mehrheit der 168 befragten Führungskräfte KI-Technologien positiv gegenübersteht, die tatsächliche Anwendung in den täglichen Geschäftsprozessen bei 81 % der Befragten momentan eine geringe bis keine Rolle spielt. Lediglich 13 % nutzen Künstliche Intelligenz im Recruiting. Die Gründe für diese Diskrepanz liegen hauptsächlich in Herausforderungen wie fehlendem KI-Know-how (71 %), rechtlichen Unsicherheiten (52 %) und Datenschutzbedenken (47 %).

Die Erwartungen sind jedenfalls groß: 91 % der Führungskräfte rechnen mit einer deutlichen Effizienzsteigerung in ihren Unternehmen durch den Einsatz von KI.

KI in der Personalbeschaffung: Globale Trends & regulatorische Rahmenbedingungen

KI-basierte Tools in der Personalbeschaffung werden zunehmend an Bedeutung gewinnen, nicht nur in Europa, sondern weltweit. In den Mitgliedstaaten wird der Einsatz dieser Technologien durch strenge Vorschriften wie der DSGVO und des Artificial Intelligence Acts der EU (AI Act EU) reguliert. Auch global gesehen erleben wir eine rasche Expansion, da Unternehmen weltweit erkennen, wie diese Technologien ihre Rekrutierungsprozesse optimieren können.

EU: Vorreiter in Datenschutz und Ethik

Die Europäische Union hat mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der politischen Einigung auf ein KI-Gesetz im Dezember 2023 strenge Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI festgelegt. Diese Gesetze sollen sicherstellen, dass KI-Systeme transparent, nachvollziehbar und frei von Diskriminierung sind. Besonders im Recruiting, wo sensible persönliche Daten verarbeitet werden, müssen Unternehmen sicherstellen, dass ihre KI-Anwendungen den strengen Datenschutzanforderungen der DSGVO entsprechen. Das KI-Gesetz fokussiert zudem Hochrisiko-Anwendungen von KI, zu denen auch bestimmte Aspekte des Recruitings zählen und verlangt von Unternehmen, Risikobewertungen durchzuführen und die Einhaltung ethischer Standards zu garantieren.

USA: Schritte Richtung Regulierung

In den Vereinigten Staaten wurden KI-Modelle bisher weitgehend unreguliert gelassen. Allerdings hat die Veröffentlichung einer Executive Order durch Präsident Joe Biden im Oktober 2023 einen wichtigen Schritt zur Regulierung der KI-Einsätze markiert. Diese Richtlinie zielt unter anderem darauf ab, Arbeitnehmer vor Voreingenommenheit und unfairen Bewertungen im Bewerbungsprozess zu schützen. Es wird erwartet, dass diese Initiative den Weg für weitere gesetzliche Maßnahmen ebnet, die den verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Arbeitswelt fördern.

Asien: Vielfalt in der Regulierung

In Asien zeigt sich ein vielfältiges Bild der KI-Regulierung, das von Land zu Land stark variiert. Länder wie China – wo KI im Recruiting weit verbreitet ist – und Singapur haben aktive Schritte unternommen, um KI-Strategien und -Richtlinien zu entwickeln, die sowohl die Innovation fördern als auch ethische und soziale Standards wahren sollen.

Laut dem „IBM Global AI Adoption Index 2022“ haben bereits 58 % der chinesischen Unternehmen Künstliche Intelligenz implementiert, während zusätzliche 30 % angaben, die Integration von KI in Betracht zu ziehen.

Singapur liegt laut der Studie mit 39 % KI-Einsatz im Mittelfeld, allerdings überlegen 46 % KI im Unternehmen zu implementieren. Südkorea, wo laut IBM 22 % der Unternehmen KI einsetzen, hat ebenfalls Rahmenbedingungen geschaffen, die den Einsatz von KI im Arbeitsmarkt regulieren.

Wie wichtig sind internationale Standards?

Während einige Regionen strenge Gesetze implementieren, befinden sich andere noch in den Anfangsphasen ihrer Regulierung. Die Balance zwischen Innovationsförderung und ethischen Standards bleibt eine zentrale Herausforderung.

Eine globale Kooperation mit einheitlichen Richtlinien könnte maßgeblich dazu beitragen, die Potenziale von KI im Recruiting vollständig zu nutzen und dabei ethische sowie soziale Verantwortlichkeiten zu berücksichtigen. Das würde nicht nur das Vertrauen in KI-Systeme stärken, sondern auch Innovationen vorantreiben.

Allerdings ist die Hoffnung auf einheitliche weltweite Standards für KI-Regulierungen eher unwahrscheinlich, da verschiedene Regionen unterschiedliche Herangehensweisen verfolgen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die EU und die USA ihre Kooperation im Bereich Künstlicher Intelligenz weiter vertiefen werden. Ein bedeutsamer Schritt hin zu einem globaleren Ansatz ist die „Verwaltungsvereinbarung über Künstliche Intelligenz für das Gemeinwohl“, die Ende Januar 2024 zwischen der EU und den USA unterzeichnet wurde und das Ziel verfolgt, eine gemeinsame Strategie zu etablieren.

Chancen, Herausforderungen, Risiken

Künstliche Intelligenz im Recruiting eröffnet sowohl beeindruckende Möglichkeiten als auch komplexe Herausforderungen. Diese Dualität erfordert ein sorgfältiges Abwägen, um die Vorteile von KI vollständig zu nutzen und gleichzeitig potenzielle Risiken zu minimieren.

Eine der größten Chancen, die Künstliche Intelligenz bietet, besteht darin, die Produktivität erheblich zu steigern und Kosten zu senken, indem sie zahlreiche zeitaufwändige Routineaufgaben im Einstellungsprozess automatisiert. Diese Automatisierung trägt dazu bei, qualifizierte Kandidaten schneller zu identifizieren, verbessert die Einstellungsqualität und entlastet HR-Profis von zeitaufwändigen und mühsamen Aufgaben.

Unternehmen, die die Potenziale von Künstlicher Intelligenz heute schon in ihre Bewerbungsprozesse integrieren, werden ihre Wettbewerbsfähigkeit erheblich stärken, Innovationen vorantreiben und sich flexibel an sich ändernde Marktbedingungen anpassen. Dadurch sind sie besser positioniert, um neue Chancen zu erkennen und nicht den Anschluss an Mitanbieter zu verlieren.

Gleichzeitig birgt der Einsatz von KI im Recruiting aber auch signifikante Herausforderungen und Risiken. Eines der Hauptprobleme ist die algorithmische Voreingenommenheit. Sind Trainingsdaten verzerrt, kann das zu diskriminierenden Entscheidungen durch die KI führen.

Datenschutz ist ein weiteres kritisches Thema, da im Rekrutierungsprozess sensible persönliche Informationen der Bewerber verarbeitet werden. Mangelnde Transparenz bei KI-Entscheidungen, die oft als „Black Box“ wahrgenommen werden, führt zu Misstrauen und Akzeptanzproblemen bei Bewerbern und Mitarbeitern.

Eine zu starke Abhängigkeit von Technologien birgt das Risiko, dass die essenzielle menschliche Intuition und Beurteilungskraft im Rekrutierungsprozess verloren gehen, was gerade in der HR-Arbeit kritisch werden kann. Auch Zeit und Kosten können ein Thema bei der Implementierung von KI im Unternehmen sein. Besonders, wenn in eigene KI-Systeme investiert wird.

Aus der KI-Vergangenheit lernen

Künstliche Intelligenz im Recruiting hat nicht nur Erfolgsgeschichten geschrieben. Besonders lehrreich war das Beispiel von Amazon. Der Onlinehändler entwickelte 2018 ein KI-gestütztes Rekrutierungstool, das Lebensläufe bewerten sollte, stellte jedoch fest, dass das System gegenüber Frauen voreingenommen war. Es bevorzugte männliche Bewerber, da die Trainingsdaten aus einem von Männern dominierten Bewerberpool bestanden. Amazon stoppte die Entwicklung des Tools schließlich, da es damals nicht gelang, diese geschlechtsspezifische Voreingenommenheit aus diesem System zu entfernen.

Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass Algorithmen, die zur Vorauswahl von Bewerbungen eingesetzt werden, Männer für technische und höher bezahlte Positionen bevorzugen könnten, wenn sie mit historischen Einstellungsdaten trainiert werden, die eine männliche Dominanz in diesen Rollen aufweisen.
Problematisch erwies sich auch eine Gesichtserkennungstechnologie im Bewerbungsprozess, die bei Personen mit dunkler Hautfarbe zu Ungenauigkeiten neigte, was Fragen zu Gerechtigkeit und möglicher Diskriminierung aufwarf.

Bei Spracherkennungstechnologien in Videointerviews zeigte sich oft, dass Sprachmuster, die von der üblichen Norm abweichen – beispielsweise durch Akzente oder Dialekte –, tendenziell niedriger bewertet wurden. Das kann zur unbeabsichtigten Benachteiligung von Bewerbenden aus verschiedenen ethnischen oder sozialen Gruppen führen.
Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass die KI Entscheidungen nur auf Basis bereitgestellter Daten und klaren Vorgaben treffen kann. Werden im gesuchten Bereich Positionen hauptsächlich mit Männern besetzt, wird die KI mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Präferenz für männliche Kandidaten haben. Diese Beispiele zeigen, dass KI-Systeme so gestaltet und trainiert werden müssen, dass sie die Vielfalt und Gleichberechtigung fördern und nicht bestehende Ungleichheiten weiter verstärken.
Künstliche Intelligenz im Recruiting ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine ethische Verpflichtung. Die menschliche Aufsicht spielt eine entscheidende Rolle, ebenso das Verständnis darüber, auf welche Weise KI-Systeme Entscheidungen treffen.

KI im Recruiting: Was ist möglich?

Automatisiertes Screening von Lebensläufen (CV-Parsing): KI-Systeme können Tausende von Lebensläufen in kürzester Zeit durchsuchen und dabei Kandidaten identifizieren, die den Anforderungen der Stelle am besten entsprechen.

Predictive Analytics: KI kann dabei helfen, zu prognostizieren, wie gut ein Kandidat in ein Unternehmen passen könnte. Durch die Analyse großer Datenmengen aus vergangenen Rekrutierungsprozessen kann die KI Muster erkennen und Prognosen darüber erstellen, welche Kandidaten am besten zu einer Stelle passen.
Chatbots für das erste Screening: KI-basierte Chatbots können eingesetzt werden, um die erste Kommunikation mit Bewerbern zu führen. Sie können einfache Fragen stellen und Informationen sammeln, wodurch der Prozess effizienter wird.

Video-Interview-Analyse: KI kann Video-Interviews analysieren, um nonverbale Hinweise wie Körpersprache, Gesichtsausdrücke und Stimmmodulation zu bewerten. Dies kann zusätzliche Einblicke in die Eignung eines Kandidaten bieten.

Verbesserte Stellenanzeigen: KI kann dabei helfen, Stellenanzeigen zu optimieren, indem sie Sprache und Struktur analysiert, um die besten Talente anzuziehen.
Diversity und Inklusion: KI-Tools können dabei helfen, unbewusste Voreingenommenheiten zu reduzieren, indem sie sicherstellen, dass Stellenanzeigen neutral formuliert sind und dass die Vorauswahl von Kandidaten auf objektiven Kriterien basiert.

Mitarbeiterempfehlungsprogramme: KI kann genutzt werden, um Mitarbeiterempfehlungen zu analysieren und zu identifizieren, welche potenziellen Kandidaten aus dem Netzwerk eines Mitarbeiters am besten geeignet sein könnten.

Personalisierte Mitarbeitererfahrung: KI kann dazu verwendet werden, personalisierte Onboarding- und Weiterbildungsprogramme zu entwickeln, die auf den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter basieren.

Das neue KI-Gesetz, das ab 2024 schrittweise in Kraft tritt, implementiert einen risikobasierten Rahmen, der klare Anforderungen an Anbieter und Nutzer von KI-Systemen stellt. Unternehmen mit KI-Anwendungen in der Personalbeschaffung, die als hochriskant klassifiziert sind, müssen ihre Systeme genau überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um den verschärften gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen.

Empfehlungen für Unternehmen

Regulatorische Entwicklungen verfolgen
Gesetzliche Initiativen wie der EU AI Act spielen eine wesentliche Rolle dabei, einen verantwortungsvollen Rahmen für KI im Recruiting zu schaffen. Sie legen ethische Grundlagen fest, die die Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen leiten sollen und sind eine Hilfestellung bei der Implementierung von KI im Unternehmen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden über regulatorische Entwicklungen im Bereich KI und Recruiting, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Die rechtzeitige Anpassung an neue Vorschriften kann Risiken minimieren und die Compliance sicherstellen.

Datenschutz
Unternehmen, die KI nutzen, müssen Datenschutzrichtlinien, insbesondere der DSGVO, strikt einhalten. Schaffen Sie Transparenz im Bewerbungsprozess und informieren Sie Bewerber darüber, wie ihre Daten verarbeitet werden und inwieweit KI im Auswahlprozess verwendet wird. Das fördert das Vertrauen und die Akzeptanz der Kandidaten gegenüber Ihren Recruiting-Praktiken.

System-Sicherheit
Sichern Sie Ihre KI-Systeme gegen Cyberattacken und Manipulationen. Prüfen Sie auch die Zuverlässigkeit und den Standort des Anbieters.

Bias minimieren
KI-Bias, auch als maschinelles Lernen-Bias oder Algorithmus-Bias bekannt, tritt auf, wenn menschliche Vorurteile in den Trainingsdaten oder Algorithmen zu verzerrten Ergebnissen führen.

Arbeiten Sie aktiv daran, algorithmische Voreingenommenheit zu erkennen und zu minimieren. Das beinhaltet das Training der KI-Modelle mit diversen Datensätzen und die regelmäßige Überprüfung der Entscheidungsfindungsprozesse der KI auf Fairness.

Menschliche Überwachung
Auch wenn KI eine wertvolle Unterstützung im Recruiting-Prozess darstellt, sollte die endgültige Entscheidung bei einem Menschen liegen. Stellen Sie sicher, dass KI-Entscheidungen von HR-Fachleuten überprüft werden, um eine ausgewogene und faire Auswahl zu gewährleisten.

Weiterbildung und Schulung
Investieren Sie in die Schulung Ihres HR-Teams im Umgang mit KI-Tools. Der Fokus liegt dabei auf ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten. Ein fundiertes Verständnis der Funktionsweise und der Grenzen von KI hilft Ihrem Team dabei, diese Technologie effektiver und ethisch verantwortungsvoll einzusetzen.

Ethische Richtlinien entwickeln
Formulieren Sie klare ethische Richtlinien für den Einsatz von KI in Ihrem Unternehmen. Diese sollten die Verpflichtung zu Transparenz, Fairness und Verantwortlichkeit widerspiegeln und von allen Mitarbeitern, die mit KI arbeiten, eingehalten werden.

Partnerschaften und Austausch
Engagieren Sie sich in Brancheninitiativen oder Partnerschaften, um Best Practices im Einsatz von KI im Recruiting zu teilen und zu lernen. Der Austausch mit anderen kann wertvolle Einblicke in erfolgreiche Strategien bieten.

Expertise in KI-Recruiting aufbauen
Unternehmen, die vorhaben, KI in ihren Personalbeschaffungsprozess zu integrieren, sollten jetzt in KI-Expertise für das Recruiting investieren. Das kann durch den Aufbau eines internen KI-Teams oder den Zukauf von HR-Experten mit KI-Kompetenzen erreicht werden.

Für Bewerber: Transparenz schaffen
Bewerber müssen klar und verständlich über den Einsatz von Algorithmen, die Funktionsweise der Systeme und den Umgang mit ihren Daten informiert werden, wobei sowohl DSGVO-Richtlinien als auch möglicherweise strengere unternehmensinterne Standards zu berücksichtigen sind. Es ist wichtig, dass Bewerber auch die Option erhalten, den Bewerbungsprozess auf traditionellem Weg zu durchlaufen.

Für Bewerber: Feedbackmechanismen einrichten
Schaffen Sie Kanäle, durch die Bewerber Feedback zu ihrem Erlebnis mit Ihren KI-gestützten Recruiting-Prozessen geben können. Dies hilft nicht nur, das Vertrauen der Kandidaten zu stärken, sondern bietet Ihnen auch wertvolle Einblicke, um Ihre Prozesse kontinuierlich zu verbessern.